GG 226

Demosthenis Oratorum Graeciae principis Opera, quae ad nostram aetatem pervenerunt, omnia, una cum Ulpiani Rhetoris Commentariis, e Graeco in Latinum sermonem conversa, per Hieronymum VVolfium Oetingensem, & in quinque divisa partes... Basel: Johannes Oporin [März 1550]. Fol.

Spät erscheint die erste lateinische Gesamtübersetzung - nach ebenfalls nur vereinzelten Drucken einzelner Reden oder von Redengruppen - der Reden (und Briefe) des Demosthenes, fast fünfzig Jahre nach ihrem ersten griechischen Druck in Venedig, fast zwanzig Jahre nach ihrem ersten griechischen Druck in Basel (GG 225), noch nach dem zweiten griechischen Basler Druck. Die gewöhnlich um 1549 datierte Ausgabe - weder das Impressum noch die Widmungen enthalten ein Datum - ist nach einer Angabe im neu formulierten Titel der Praefatio zum Specimen der Gnomologien in deren Wiederabdruck im Specimen von 1569 (GG 229) (sofern sich nicht Wolf oder Episcopius hier irrt) 1550 erschienen, kaum lange nach seiner Abreise aus Basel nach Paris von etwa Ende 1549 und auch vor dem August dieses Jahres, da sie auch Wolfs Briefwechsel mit Ludovicus Carinus aus diesem Monat noch nicht enthält - wie dann die folgende von 1554 (GG 227) - , das heisst: wohl zu Anfang 1550 auf die Fastenmesse hin (in Wolfs erstem Brief an Oporin aus Paris vom 4. Januar 1550 ist noch von emendationes zum Demosthenes die Rede). Den Gesamtdruck, zusätzlich nochmals für sich die Übersetzung des Kommentars Ulpians (Teil 4) und das Specimen der Gnomologien und Annotationen (am Schluss von Teil 4) hat Wolf seinem baldigen (wohl etwa ab Anfang 1551) Herrn Johann Jacob Fugger gewidmet. Der erste Teil enthält, nach einer zweiseitigen Eingangselegie Abraham Loeschers an den Demosthenesleser, die Suasorien, die Briefe, die kurzen Exordien zu Volksreden und zwei epideiktische Reden, der zweite Teil die öffentlichen Prozessreden, der dritte die privaten Prozessreden, der vierte die Viten und die Kommentare Ulpians, der fünfte ältere Übersetzungen, d.h. zwanzig verschiedene Reden, für die Wolf älterer und kurz zuvor erschienener Übersetzungen habhaft werden konnte, zum Teil in zwei Übersetzungen, die Olynthischen Reden oder die erste Philippische gar in deren drei, zum Vergleich, da ihm stets bewusst ist, dass keine Übersetzung den vollständigen Sinn eines Originals wiedergeben kann. Die Übersetzer sind, soweit ihm die Namen bekannt, Philipp Melanchthon (4), Joachim Camerarius (2), Christoph Hegendorff (6), Johannes Lonicer (2), Justinus Gobler (1), Pieter Nannius (1), Leonardo Aretino (1), Bassiano Landi (1), Veit Winsheim (Örtel: 1) und Jean Lallemand (2). Wie Wolf in den Teilen 1-3 jeder Rede eine Einleitung vorangestellt hat, so hat er auch hier fremde Widmungsvorreden mit abdrucken lassen. Wolfs Widmungen der Reden - sie umfassen 11 Folioseiten mit Marginalien - und des Kommentars Ulpians - nochmals 4 Seiten - sind beide weder datiert noch mit einer Ortsangabe versehen. Da aber Wolf in ihnen von seiner Arbeitszeit spricht, in der ersten zu Beginn davon, dass der Plan zum Demosthenes von Oporin ausgegangen sei, später vom Plan, den noch nicht druckfertigen Kommentar später erscheinen zu lassen, in der zweiten davon, wie Oporin zum Abschluss und zu gleichzeitiger Publikation gedrängt habe, und davon, wie er, Wolf, auch den Kommentar vor seiner Abreise als privater Präzeptor nach Paris habe unter Dach bringen wollen, darf man wohl annehmen, dass sowohl die Vorreden wie die ganze Bearbeitung von Demosthenestext und Kommentar zwischen dem 22. Februar 1548 - dem Datum des letzten Briefs Wolfs aus Strassburg an Oporin - und dem 4. Januar 1550 - dem Datum seines ersten Briefs aus Paris an Oporin (dazwischen liegen keine an diesen Basler Adressaten) - in Basel entstanden sind.

Schon als Kind, beginnt er die erste Widmung, wohl aus der ersten Hälfte des Jahres 1549, in der er sich sehr kompetent und ausführlich über Zweck, Theorie und Praxis des Übersetzens äussert, habe er sich ohne äussern Anstoss, sogar gegen Eltern und Freunde, von der griechischen Sprache und Dichtung angezogen gefühlt. Wenn er dieser Anziehung zu Unrecht nachgegeben habe, habe er sich selber gestraft: mit Mühen ohne Entgelt. Er sehe noch kein Ende, sei gezwungenermassen immer unterwegs (als privater Präzeptor). Was ihm neben dem Unterrichten an Zeit bleibe, verwende er zur Lektüre und zum Schreiben. Er sei wohl zur Plackerei geboren, oder halte alles andere, mit Plinius, für verlorene Zeit. Mit anderer Arbeit hätte er Ertrag, mehr Ansehen erringen können. Im vergangenen Jahr habe er seine Isokratesübersetzung herausgegeben (bei Oporin im August 1548 erschienen [GG 216]), durch notwendige Eile (Herbstmesse!) nicht so verbessert, dass das Werk ihm gefalle. Doch der Nürnberger Rat habe es so aufgenommen, dass ihn die Arbeit nicht reue (ihm hatte Wolf die Ausgabe gewidmet: er dürfte eine finanzielle Gabe dafür erhalten haben); er bereite es jetzt für eine zweite Ausgabe vor (die ist dann allerdings erst 1570 erschienen [GG 219]). Da er mit Isokrates seine Lehre gemacht habe, habe er sich seinem gelehrten Freund Oporin nicht widersetzt, der erklärt habe, ein lateinischer Demosthenes werde schon lange von den Studiosi verlangt. Er sei umso weniger davor zurückgeschreckt, als er schon lange einige Reden dieses Autors übungshalber übersetzt und ungebräuchlichere Redensarten und bemerkenswerte Merksätze gesammelt gehabt habe. Entgegen Vorwürfen sei nicht zu befürchten, dass die Jugendlichen im Vertrauen auf Übersetzungen die griechische Sprache zu vernachlässigen begännen. Vielmehr würden sie durch die Aussicht auf Hilfe durch zuverlässige Übersetzer dazu ermuntert, ohne allzugrosse Schwierigkeiten zur nützlichen Kenntnis der schönsten und gelehrtesten Sprache zu gelangen. Wer zuvor mangels genügenden Unterrichts und mangels Bücher verzweifelt habe, werde im Vertrauen auf eine Übersetzung die Lektüre auch des schwierigsten Autors in seiner Sprache wagen und sich glücklich preisen, was lateinisch eher plump sei, korrekt und unverstümmelt im Original lesen zu können. Natürlich wäre es wünschenswerter, dass alle alles Nötige und Nützliche in den drei Sprachen original lesen lernten. Doch bei der Bequemlichkeit der Zeit sei es eine Illusion, das zu erwarten. Daher seien die zu loben, die sich darum bemühten, dass auch Wenigergebildete die besten Denkmäler der Alten irgendwie verstehen könnten, statt nutzlose neue Büchlein zusammenzustückeln, die Schüler durch stets wechselnde Lehren zu verunsichern (etwa die Lehrbücher Neanders und des Crusius?), die Bibliotheken masslos mit schlechten Büchern vollzustopfen. Es gebe heute mehr Methodiken der Redekunst als Schüler. Wie viel besser wäre es, Aristoteles und Cicero mit guten Kommentaren zu studieren (so sind auch in Basel zahlreiche Ausgaben der Rhetorik und des Organon erschienen). So habe er auch bei seiner Demosthenesübersetzung darauf geachtet, dass Anfänger sie nicht nur lesen, sondern auch mit dem Griechischen vergleichen könnten. Bis dahin sei Demosthenes noch von niemand vollständig übersetzt gewesen. Darauf kommt Wolf auf die Hilfsmittel bei der Übersetzung zu sprechen, darauf, dass Demosthenes, den ja das Volk habe verstehen müssen, gar nicht so schwierig sei, wie er gelte, und auch für ihn als Deutschen nach Übung verständlich - mit Ausnahme der Fehler der Überlieferung. Er glaube aber, auch hierin Fortschritte gemacht zu haben: vor allem nicht zu wissen zu meinen, was er nicht wisse. Die zweideutigen und zweifelhaften Stellen vergleiche er in jeder Beziehung mit dem gesamten Stil des Demosthenes und anderer Autoren, ob etwas fehle, eingeschoben, fehlerhaft oder umgestellt sei, durch Vergleich mit Zitaten bei andern Autoren. Viel habe ihm dabei Bernardus Felicianus geholfen, der (als Herausgeber der Ausgabe von Venedig 1543) dafür gesorgt habe, dass der Druck des Francesco Brucioli (exemplar Demosthenis ex officina Francisci Brucioli), den Herwagen kürzlich nachgedruckt habe (Basel 1547), an vielen Stellen verbessert sei. Obwohl auch da noch viel zu tun geblieben sei; das lege er dem Leser in seinen Annotationes vor. Er habe sämtliche Quellen und Kommentare, griechische und lateinische, konsultiert und bereue, dass der Brauch der Antike nicht mehr bestehe, vor der Publikation die Werke im Kreise Gelehrter zur Prüfung vorzutragen. Jeder lasse sich einmal durch Unachtsamkeit oder falsche Meinung von sich täuschen. Einen habe er so kennengelernt, den redlichen und freundlichen hochgelehrten Kenner der drei Sprachen Sebastian Castellio, der mit ihm den grössten Teil des demosthenischen Textes durchgegangen sei und ihn auf viele Sprachfehler hingewiesen habe, die er, im Vertrauen auf neuere Autoren, die er von jung auf reichlich gelesen habe, nicht für solche gehalten habe (der protestantische französische Theologe und Philologe arbeitete seit Oktober 1545 in Basel für Drucker, vor allem Oporin; 1553 wurde Hebraeus Professor für griechische Sprache). Er wisse, dass niemand unfehlbar sei, er nicht mehr als seine Vorgänger. Zudem habe er Demosthenes neben vier täglichen Schulstunden, an lärmigstem Ort, übersetzt, in so wenigen Monaten, wie andere zu seiner Lektüre brauchten. Diejenigen, die mit mehr freier Zeit eine oder zwei Reden des Demosthenes oder Isokrates übersetzt hätten (solche zeigt der Band 5), sollten nun nicht seine Übersetzung zu streng beurteilen. Denn Demosthenes könne nicht jeder lesen, geschweige denn übersetzen. Und wer in Italien, Frankreich, Deutschland und anderswo dies könnte, sei mit Gewichtigerem beschäftigt. Zur Eile habe ihn seine schwache Gesundheit getrieben, nicht ein unfertiges Werk zu hinterlassen, daneben die Drohung eines nochmals erzwungenen Ortswechsels. Und im Wissen darum, dass Studiosi und Buchhändler dringend das Werk verlangten, habe er die Ausgabe nicht aufschieben wollen. Spätere Musse könne ihn immer noch verbessern und schöner gestalten lassen. Doch auch mit dieser Ausgabe habe man den ganzen Inhalt und Sinn des Demosthenes. Eine spätere Ausgabe werde den Vorteil eines verbesserten Stils bieten (diese ist dann erst 1572 erschienen [GG 230]). Nach seiner mehrmaligen Durchsicht von Text und Verbesserung biete er wohl manches, was andern bei weniger Aufmerksamkeit entgangen wäre, für Gelehrte wie für Anfänger, und hoffe, dass ein nur des Lateins Kundiger den griechischen Text nicht mehr so sehr vermisse, und dass, wer das Griechische nicht genügend beherrsche, durch seine Übersetzung zum Original finde. Als er selber aus eigenem Antrieb (denn es sei ihm nicht lange vergönnt gewesen, Unterricht zu geniessen) Demosthenes zu lesen begonnen habe, wie habe er sich da auf eine Übersetzung, eher schlechter als seine jetzige gestürzt! Keine Übersetzung könne besser, oder gleich gut, wie das Original werden, doch sei die seine wohl nicht weiter vom Text des Demosthenes entfernt, als dessen geschriebene Reden von den gehaltenen, der tote Demosthenes vom lebenden. Dessen Redekunst könne mit keinen stummen Buchstaben eingefangen werden, sie könne man sich bei der heutigen rhetorischen Barbarei gar nicht vorstellen. Ähnliches bezeuge schon Cicero im 3. Buch über den Redner. Mit der Lektüre Ciceros und des Demosthenes kenne man noch längst nicht die Redekunst dieser Heroen, und noch dümmer seien diejenigen, die in jahrelanger Arbeit eine kleine Rede zusammenbastelten und glaubten, ihnen damit gleichzukommen, sie gar zu übertreffen. Nichts als stumme Abbilder seien die überlieferten Reden. Erfindung und Darstellung brauchten, wie die unvollendete Venus des Apelles, ihre Vervollkommnung durch Stimme, Gesichtsausdruck, Gestik, den ganzen Körper. Bei der Dichtung sei es, wie von Vergils Vortrag überliefert sei, nicht anders. Eine Übersetzung sei damit nur ein Abbild eines Abbilds, ein Schatten eines Schattens, und könne kaum der besten Überlieferung des Originals gleichkommen. Wie jedes Volk habe jede Sprache ihren unnachahmlichen Genius und ihre Eigenheiten. Auch bei der Wiedergabe der selben Sache würden immer Unterschiede bleiben. Cicero und andern hervorragenden Männern seiner Zeit, als das Griechische und das Lateinische in Blüte gestanden hätten, sei wenigstens eine gleichwertige Wiedergabe gegeben gewesen; heute, da man Bruchstücke beider Sprachen in den Schriften erhalten habe, müsse man zufrieden sein, den Inhalt getreu, im selben Sinn und der Gattung gemäss wiedergeben zu können. Schwieriger als das Verständnis noch sei der Ausdruck. So solle man von den Übersetzungen griechischer Literatur nicht ciceronianischen Glanz verlangen, wie wenn man in der Zeit Ciceros lebte. Es sei auch der Mühe wert, den Studiosi zu helfen, Demosthenes zuerst durch einen Übersetzer, auch lateinisch stammeln zu hören. Wer das tadle, solle selber Besseres bieten. Und warum dürften in allen Schulen seine Sätze lateinisch wiedergegeben (exponi) werden? Dessen Nutzen könnten sie nicht abstreiten, wie nichts Griechisches heute besser als auf diese Weise gelehrt werden könne. Warum also würde, wer eine solche Übersetzung publiziere, deswegen angegriffen? Und wenn der Glanz der Sprache ihn zu Recht weniger gekümmert habe als der Sinn, so habe er doch auch auf den Ausdruck wertgelegt, auch wenn er zuweilen Wörter in Bedeutungen habe verwenden müssen, die im Altertum noch weniger gebräuchlich gewesen seien. Doch davon handle er ausführlicher in den Annotationes, die ihn die Ungunst des Schicksals hoffentlich so vollenden lasse, dass alle sie dann zur griechischen Lektüre des Demosthenes gebrauchen könnten. Worauf Wolf die Widmung an Johann Jakob Fugger mit dessen vollkommenen Griechisch- und Lateinkenntnissen begründet, von denen ihm Georg Hermann berichtet habe, weshalb er ihn als Richter über sein Werk gewählt habe. Die antiken Urteile über Demosthenes seien für den zweiten Band vorgesehen, der Ulpians Kommentar, seine Annotationes zu unklaren Stellen und anderes enthalte, das in der gegenwärtigen pädagogischen Plackerei von ihm nicht zum Druck habe fertiggestellt werden können, obwohl er es sehr gewünscht habe. Aber Demosthenes habe sie auch nicht nötig (doch Oporin hat, weshalb vermutlich das Datum dieser Widmung im Druck weggelassen wurde, da es Fugger ja bekannt gewesen sein dürfte - offenbar mit dem Druck, zumindest mit der Publikation der Übersetzung gewartet, bis diese Teile doch beigegeben werden konnten: dies zeigen auch Äusserungen Wolfs in seiner Widmung zu eben diesem zweiten Band: s. unten). Demosthenes verlange nicht nur einen aufmerksamen Übersetzer, sondern auch einen ebensolchen Leser, der die Kraft seiner Worte, das Gewicht seiner Sätze, die Schärfe seiner Erfindungsgabe, den Reichtum und die Gewalt seiner Beweise, die Erhabenheit seiner Beispiele, die Geschicklichkeit seiner Voraussagen, die Kunst seiner Disposition, die Verwandtschaft mit der Gegenwart erkenne und bewundere. Das alles werde aber dem noch viel deutlicher, der ihn griechisch lese. Auch Cicero habe nichts seiner attischen Aufrichtigkeit Gleiches ausgedrückt. Wem sein Stil zu ärmlich und trocken (sterilius & exilius) scheine, der solle beachten, dass Demosthenes mehr Knochen und Sehnen habe als Blut und Fleisch, Cicero die gleichen Prozesse viel wortreicher geführt hätte. Was Cicero sich beim Übersetzen der einander gegensätzlichen Reden des Demosthenes und Aeschines gestattet habe, wisse er nicht. Doch wenn er sie übersetzt habe (was manche nicht ohne Grund bezweifelten), habe er wohl die Art befolgt, die zu befolgen er verkündet habe. Leider sei die Übersetzung nicht erhalten; doch so elegant sie auch gewesen sei, man hätte dennoch wohl die Lektüre der Rede für Milo vorgezogen. Es sei das Schwierigste, das es gebe, seinen Mund einem fremden Herzen anzupassen, eines andern Aussagen mit seinen Worten und seinem Stil widerzugeben. Das gestehe sogar Cicero ein (heute gilt, dass Cicero, der sich häufig theoretisch über das Übersetzen geäussert hat und dessen Übersetzungsarten in den letzten Jahrzehnten mehrfach untersucht worden sind, nicht nur poetische und philosophische Werke, sondern in seiner Jugend auch Reden griechischer Redner zur Ausbildung übersetzt und in seinen letzten Lebensjahren zumindest den Plan gefasst - und die Einleitung geschrieben - hat, die Reden des Demosthenes und Aeschines für und gegen Ktesiphon als Musterreden gegen die Stilrichtung der Neuattiker zu übersetzen; ob diese Übersetzungen noch vollendet worden und früh verschollen oder nicht mehr zustande gekommen sind, ist heute immer noch umstritten). Er, Wolf, habe sein Möglichstes gegeben; mehr Zeit hätte Besseres erlaubt. Doch die Studiosi seien armseliger als die Handwerker; wer nicht Hungers sterben wolle, würde auch die unwürdigste Arbeit annehmen. Doch bei Fugger vertraue er auf eine gute Aufnahme seines Werkes. Obwohl er noch nie persönlich mit ihm zusammengetroffen sei, sei ihm sein Ruf bekannt, seine Bildung, seine Grosszügigkeit, seine Unterstützung begabter Jugendlicher bis zu ihrem Studienabschluss nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich und Italien. Darin sei er seinem Vater Raymund und seinem Oheim Anton gleich. Aber die Musen, obwohl Waisen und mitgiftlos, seien nicht undankbar und würden ihren Gönnern mit ewigem Ruhm danken. Er würde nicht nur seinen Besitz gut verwalten, nicht nur Gelehrte fördern, sondern selber Bildung besitzen und seine Kinder von klein an bilden lassen. Er möge seinem lateinischen Demosthenes in seiner herrlichen Bibliothek, die er mit hohen Kosten in Italien erworben haben solle (das dürfte vor allem Handschriften und Aldinen betreffen) und die viele hervorragende Bücher enthalte, die bisher nur wenige gesehen hätten, einen Platz gönnen. 

Der doch noch mit dem Text des Demosthenes zusammen von Oporin veröffentlichte zweite Band mit Wolfs Übersetzungen des Kommentars Ulpians und der antiken Viten sowie Gnomologiae sive Sententiae (lateinisch) aus der ersten olynthischen Rede, deren Einleitung von Libanius und deren Kommentar Ulpians hat nochmals eine Widmung an Fugger für den ganzen Band und eine zweite für die Gnomologien und Annotationen, auch diese beiden ohne Orts- und Datumsangabe. Sie dürften in Basel kurz vor Wolfs Reise mit seinen Zöglingen nach Paris entstanden sein, gegen Ende 1549. Er widme ihm jetzt, beginnt Wolf die Vorrede des Bandes, wie versprochen, den zweiten Teil seiner Arbeit, Ulpians Kommentar zu 18 Reden des Demosthenes, sogar schneller als er versprochen habe, nicht unterhaltsam zu lesen, aber für die jungen Studenten nützlich. Zu diesem Zweck habe er die mühselige Arbeit an der griechischen Textvorlage (codex: wohl einer der Drucke) trotz ihrer Unmenge von Fehlern auf sich genommen. Diese Kommentare würden mit einigem Anreiz Mühsal und Überdruss des Übersetzers mildern und einen Leser verlangen, der mit den Schwierigkeiten des Autors zu Rand zu kommen suche. So würden sie, nützlich von Natur, nicht nur ohne Langeweile, sondern begierig gelesen, auch wenn in ihnen manches zu knapp, anderes zu weitschweifig behandelt sei. Aber ihm würde es als Kommentator vielleicht gleich gehen: zu erklären nicht was er wolle (d.h. was zu erklären nötig wäre), sondern was er könne. Trotz der völlig verderbten Überlieferung reue ihn die Lektüre Ulpians nicht, doch die Mühe der Übersetzung sei er vielleicht nicht wert gewesen: die Texte des Demosthenes und Ulpians seien nicht von einander getrennt gewesen, vertauscht. Erweiterungen, Wiederholungen, Lücken ganzer Sätze. Er kenne keine schlechtere Textvorlage (exemplar: einer der vorliegenden Drucke). Obwohl fortlaufende Erklärung, sei der Text Ulpians zuweilen zu Scholien gekürzt. Dazu müsse manches im Latein umständlich umschrieben werden, fänden sich im griechischen Text unzählige Fachausdrücke, die das Latein nicht kenne. Auch wichen die Kunstregeln Ulpians so stark von den heutigen griechischen und lateinischen Schulregeln ab, dass er schwierig zu verstehen sei. Oft hätte er ihn beiseite legen wollen und nur Demosthenes übersetzen. Doch da die zahlreichen andern Kommentare, die Ulpian verwertet habe (obwohl seine Person und seine Zeit unbekannt seien), sämtlich verloren seien, er aber erhalten geblieben sei, habe er gemeint, es müsse doch etwas in ihm stecken, und ausserdem habe er eben einige Stellen dank seiner richtiger verstanden. Er habe daher geplant, alles Weitschweifige und Unnütze wegzulassen und das Nützlichste aus ihm in seine Annotationes zu übernehmen, die er schon lange begonnen und zu einem Viertel vollendet gehabt habe und habe vollenden wollen, sobald ihm ein fester Wohnsitz vergönnt sei, da hierfür viele griechische und lateinische Autoren konsultiert werden müssten. Doch das hätte Ulpian Unrecht getan: er wäre noch stärker verstümmelt worden. Niemand, auch er selber nicht, schätze es, wenn ein anderer sich an seinen Schriften vergreife und sie plündere. Und ausserdem würde ein anderer vielleicht gerade das vermissen, was er als überflüssig betrachtet habe. Jeder halte allein seine Meinung für richtig und weise oft sogar zurück, was er kurz zuvor selber noch für gut gehalten habe. Soweit habe ihn die Lehre der Akademiker vorsichtig im Handeln und in den Aussagen gemacht. Und die Lateinschüler hätten nicht schlechter dran sein sollen als die Gräzisten. Er habe die griechische Vorlage an mehr als 2000 Stellen verbessert, kaum weniger unverbessert lassen müssen und alles Zweifelhafte mit Sternchen bezeichnet. Hin und wieder habe er um der Kürze willen aus dem fortlaufenden Text Ulpians, ohne Schaden für diesen, die Worte des Demosthenes durch Parenthese herausgenommen. Die Fachausdrücke habe er oft griechisch belassen, doch immerhin nach bestem Können und soweit es seine und des Druckers Eile zugelassen habe, eine lateinische Übersetzung beigefügt. Oporin habe nämlich aus bestimmten Gründen, die er selber auch gebilligt habe, Ulpian nicht separat herausgeben wollen, sondern, da er so schnell zum Ende gelangt sei, den Kommentar mit dem Autor vereinigen. Und da er in Kürze mit Schülern (als privater Präzeptor) nach Frankreich aufbrechen müsse (denn die Güte seiner Herren sei so gross, dass er ihrem Willen, auch wenn er ihm sehr ungelegen käme, nicht widerstreben könne) - vom 4. Januar 1550 datiert sein erster Brief an Oporin aus Paris - und ein Mensch von schwacher Gesundheit auf weiten Auslandreisen durch irgendeinen Zufall für immer niedergeworfen werden könne, habe er Ulpian lieber so herausgeben wollen, als so viele Arbeit, die doch jemand nützen könne, ganz zugrunde gehen zu lassen. Wenn er einst Zeit habe, werde er wohl vieles, was auch ihm jetzt noch dunkel sei, erklären können. So widme er ihm, Fugger, jetzt den Ulpian als Beigabe zu Demosthenes und dessen Lebensbeschreibungen aus Libanius, Suidas, Plutarch und Lukian. Wenn Gott ihn heil aus Frankreich zurückkehren und einen festen und ruhigen Wohnsitz finden lasse, werde er sich bemühen, den sorgfältigen Erklärer der Sprache des Demosthenes Hermogenes so auf lateinisch zu übersetzen, dass man ihn verstehe, und Demosthenes mit seinen Annotationes und Gnomologiae so herausgeben, dass er allen zugänglich werde (die rhetorischen Schriften des Hermogenes waren, nach dem Erstdruck der Ars rhetorica durch Aldus Manutius 1508/09, 1530/31 griechisch in Paris und 1538 lateinisch in Lyon erschienen; von Wolf ist keine Übersetzung bekannt; seine grosse Demosthenesausgabe ist auch erst 1572 erschienen).

Eine dritte Widmung an Fugger haben die Annotationes und Gnomologiae zur ersten Olynthischen Rede erhalten, auch sie ohne Datum und Ortsangabe: Als er einen so nicht erwarteten Erfolg der Sentenzensammlung aus Isokrates bei den Gelehrten bemerkt habe, habe er sich entschlossen, bei der Bearbeitung des Demosthenes ebenfalls solche Gnomen, nun auch griechisch, zu sammeln. Aus Zeitgründen könne er aber jetzt nur solche aus der ersten Olynthischen Rede bieten. Wenn sie willkommen seien und er einst von seinen Plackereien befreit sei, werde er der Jugend den Rest bringen. Obwohl jeder auf dem von ihm gewiesenen Weg selber weiterschreiten könne. Am nützlichsten - aber auch am arbeitsaufwendigsten - sei eine Zusammenstellung nach Tugenden und Lastern. Als Arbeitsanweisung: Die griechischen Begriffe, die eine (lateinische) Sentenz veranlasst hätten, habe er vorangesetzt, zuweilen auch eine Ätiologie, ein Beispiel beigegeben. Zu Anfang der Annotationes habe er Dinge angemerkt, die für die Anfänger, keineswegs für Gelehrte seien, vor allem für Anfänger, die keinen Lehrer hätten. Darin hätten ihm Ulpian und Libanius sehr geholfen. Zudem seien die Commentarii Graecae linguae des Budé so verfasst, dass mit ihrer Hilfe sich jeder in der griechischen Literatur nach Belieben tummeln könne, besonders in diesem so literarischen Jahrhundert, in dem die griechische Sprache überall gelehrt werde. Doch zur Beweisführung, zum Verständnis der Reden habe Libanius nichts gesagt, und Ulpian sei nur verstümmelt erhalten. Er enthalte viel Nützliches, aber oft auch mehr leere Worte (ein Laster, das speziell den griechischen Kommentatoren eigen sei) als nützliche Dinge. So habe er nach der Lektüre Budé's, Harpokrations, Hesychs, des Pollux (von dessen Onomastikon war, nach Venedig 1502 und Florenz 1520, 1536 der dritte griechische [GG 81], 1541 der erste lateinische Druck [GG 82] in Basel bei Oporins Kompagnons erschienen), Suidas (hiervon war, nach Mailand 1499 und Venedig 1514, 1544 der dritte Druck [GG 84] in Basel erschienen), Phavorinus (der Erstdruck seines Lexikons durch Zacharias Kalliergis von Rom 1523 war 1538 in Basel mit bis ins 19. Jahrhundert sehr geschätzten Indices nachgedruckt worden [GG 86]) und anderer ähnlicher Autoren, mehrerer gedruckter Demosthenesübersetzungen nach Kenntnis des Griechischunterrichts an verschiedenen Orten es für der Mühe wert gehalten, Demosthenes zu erklären, der Jugend so ihre Arbeit zu erleichtern, sie zur Gründlichkeit anzuspornen, zeitknappen Lesern zu dienen und die Texte des Libanius und Ulpians ebenso zu verbessern und zu erklären. Es sei geplant gewesen, besonders auf Empfehlung eines gewissen Gelehrten (Sebastian Castellio wie beim Isokrates von 1548?), diese Arbeit so schnell wie möglich zu vollenden, damit sie mit dem lateinischen Demosthenes und dem Kommentar Ulpians zusammen herausgegeben werden könne. Doch er habe gesehen, dass er dazu noch vieles lesen müsse, und dazu habe er keine Zeit gehabt. So gebe er dieses specimen nun in dieser Form heraus. Wenn die Gelehrten und die Studenten es nicht ablehnten, werde er, soweit es Schicksal und Gesundheit zuliessen, versuchen, später etwas Grösseres und Gelehrteres zu bieten (es sollte eines seiner letzten Werke - 1569 [GG 229] und 1572 [GG 230] erschienen - werden). Der fünfte Teil mit älteren und neueren Übersetzungen anderer Philologen hat keine Vorrede erhalten.

Das Exemplar B c II 46 stammt aus Besitz Bonifacius Amerbachs (sein schöner Einband hat 1551 12 Plappart gekostet); das Exemplar B a Ia 203 muss sich früher in katholischem Gebiet befunden haben: der Name Wolfs und die Namen sämtlicher protestantischer Übersetzer in Band 5 sind lückenlos geschwärzt.

Bibliothekskatalog IDS

Signatur: Ba Ia 203 | Bc II 46

Illustrationen

Buchseite

Titelseite

Buchseite

2alphar: Vorrede des Hieronymus Wolf, 1. Seite.

Buchseite

2alphav: Vorrede des Hieronymus Wolf, 2. Seite.

Buchseite

3alphar: Vorrede des Hieronymus Wolf, 3. Seite.

Buchseite

3alphav: Vorrede des Hieronymus Wolf, 4. Seite.

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4alphar: Vorrede des Hieronymus Wolf, 5. Seite.

Buchseite

4alphav: Vorrede des Hieronymus Wolf, 6. Seite.

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5alphar: Vorrede des Hieronymus Wolf, 7. Seite.

Buchseite

5alphav: Vorrede des Hieronymus Wolf, 8. Seite.

Buchseite

6alphar: Vorrede des Hieronymus Wolf, 9. Seite.

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6alphav: Vorrede des Hieronymus Wolf, 10. Seite.

Buchseite

7alphar: Vorrede des Hieronymus Wolf, 11. Seite.

Buchseite

1ar: Anfang der Reden des Demosthenes