GG 374

Pandectarum, seu Digestorum Dn. Iustiniani Imp. Libri quinquaginta, non solum ad editionem Gregorii Haloandri diligenter collati, sed & Andreae Alciati Iureconsultorum nostra aetate decoris, consilio iudicioque in quam plurimis locis feliciter recogniti, adiectis eiusdem beneficentia Modestini Responsis graecis, in titulo de Excusationibus tutorum hactenus desideratis nec unquam editis... Basel: Johannes Herwagen 1541. Fol.

Im Jahre 1541 druckt Johannes Herwagen, neben u.a. griechischen Ausgaben Homers (GG 169) und Herodots (GG 263) (Thukydides 1540 [GG 261]), das gesamte Corpus iuris Kaiser Justinians, lateinisch und griechisch: die Institutionen, die Digesten oder Pandekten, den Codex und die griechischen Novellen, nach der Inkraftsetzung der ersten drei Teile im Jahre 533 entstandene Gesetze (GG 375). Bei der Ausgabe der Pandekten hat der berühmte Mailänder Rechtsgelehrte Andrea Alciati (1492-1550), Freund Bonifacius Amerbachs, mitgewirkt, durch Verbesserungsvorschläge und durch die Übersendung eines kurzen griechischen Textes des Modestinus an Amerbach für Herwagen am 12. Februar 1540, der dann, im Titel speziell als Erstdruck erwähnt, in der hier vorliegenden lateinischen Ausgabe an der entsprechenden Stelle auf S. 618-625 als Ergänzung zum sehr viel knapperen lateinischen Text Ulpians eingefügt ist. Alciat hat seinen Begleitbrief an Amerbach gleich auf die Rückseite des letzten Blattes des kleinen Konvoluts mit dem Titel "Liber XXVII Pandectarum De excusationibus" - eine Abschrift wohl eines Landsmanns Alciats - geschrieben. Einen andern Brief hatte er am Vortag in Bologna einem Buchhändler zur Absendung von Frankfurt aus mitgegeben, den Modestinus habe er aber nicht einem Fremden anvertrauen wollen, zumal dieser direkt nach Frankfurt habe reisen wollen (in diesem mitgegebenen Brief hatte er den Modestinus und eine lateinische Übersetzung der Novellen angekündigt und noch keineswegs geahnt, dass sich so schnell wieder eine Transportgelegenheit bieten würde). Als ein Bekannter nach Basel gereist sei, habe er ihn diesem den Froben zu Gefallen (er wusste offenbar noch nichts von der Trennung Herwagens von den Froben/Episcopius vom Jahre 1531) für ihn mitgegeben; wenn er Zeit gehabt hätte, hätte er ihn durchgelesen und die Akzente eingefügt; er könne es ja machen - und das hat Amerbach offenbar auch getan. Die Setzerzeichen auf den 6 Blättern der Ergänzung stimmen genau mit dem Satz der Ausgabe überein, was die direkte Benützung des Manuskripts in der Setzerei und für die Korrektur bestätigt. Es ist heute in der Bibliothek innerhalb des Briefwechsels der Amerbach aufbewahrt (die beiden Briefe auch in deren Korrespondenz in Band 5 mit kurzem Kommentar publiziert: Mscr. G II 14, Fol. 117-122).

Die nicht datierte Widmung hat Herwagen an den Kaiserlichen Prokanzler Matthias Held gerichtet; verfasst hat sie, laut einem Eintrag Basilius Amerbachs im Exemplar seines Vaters (und dann seinem), Hieronymus Gemusaeus. Dieser, "medizinische" Philosoph, war 1505 in Mühlhausen geboren, hatte sich im Sommer 1522 in Basel immatrikuliert, hat Werke antiker Ärzte und andere Texte herausgegeben und war 1537 Professor physicus geworden. Da Gemusaeus schon 1544 gestorben ist, dürfte Basilius Amerbach das Wissen um seine Autorschaft indirekt, durch seinen Vater gehabt haben. In dieser Widmung geht deren Verfasser - der hölzern belehrende Stil entspricht durchaus dem signierter Vorreden des Gemusaeus - von der Unterteilung der Philosophie in theoretische und praktische aus und davon, dass die Kenntnis des Zivilrechts an einen ersten Platz gehöre. Wenn Männer sie an den letzten stellten, so habe das nur damit zu tun, dass man vor ihrer Erlernung mannigfache andere Kenntnisse erworben haben müsse: praeparamenta. Die allein betrachtenden Teile - die theoretischen - der Philosophie seien nur praeludia. Als - laut Aristoteles - gesellschaftliches Wesen besitze der Mensch allein die Rede; das Ziel der gesamten übrigen Philosophie sei das ethische Wissen, ohne dieses könnten die übrigen Fächer nicht bestehen. In jedem Fach aber brauche es Wissen (scientia) und Erfahrung (empeiria); man dürfe nicht nur nach der Vernunft urteilen, sondern müsse sich auch von der Erfahrung (experientia) leiten lassen, im privaten und im staatlichen Bereich. So brauche, wer in einer Kunst zu einem Ziel gelangen wolle, im Allgemeinen theoretische Lehren und Methodik (in universalibus theorematibus, methodo uti), in den Details Übung (in particularibus exercitatione). In diesem Sinne schienen ihm die einheimischen Gesetzestafeln an Geltung (authoritatis pondere) und reichem Nutzen sämtliche Bibliotheken voll Philosophen weit zu übertreffen. Die alten Juristen hätten sowohl Wissen wie Praxis besessen, und nur Faule und jeder humanitas bare Menschen anerkennten nicht ihren Wert. Sie zu fördern aber habe er sich vorgenommen, indem er das ganze Zivilrecht drucken wolle. Da dies viel Arbeit sei, habe er die besten gegenwärtigen Vertreter des Faches beigezogen; er wolle nur ihren Chorführer nennen: Andreas Alciatus, der ihm nicht nur bei allen Zweifeln weitergeholfen, sondern auch zahlreiche Verbesserungen beigebracht habe. Vor allem bei der Frage, welcher Ausgabe er folgen solle, habe er auf die Ratschläge der obigen Gelehrten gehört, welche die Nürnberger genannt hätten, die Haloanders, der darin die Notizen Angelo Polizianos aus den Pisanischen, nun Florentinischen Pandekten verwertet habe, da keine korrektere seither erschienen sei. Entgegen der Vulgata in drei Teilen habe er wie Haloander bzw. Justinian das Pandektenwerk in deren sieben eingeteilt. Unzählige Stellen habe er auf Ratschläge Alciats hin verbessert. Die Bescheide des Modestinus zu den Traktaten über die Befreiung aus der Vormundschaft, die griechisch bis dahin nicht bekannt und nicht geschickt übersetzt gewesen seien, habe er griechisch und, am Ende der Ausgabe wie die Übersetzung alles übrigen Griechischen, lateinisch eingesetzt. Dies verdanke man Alciat. Aber auch sonst sei über die Ausgabe Haloanders hinaus einiges und das nicht ohne Gewicht verbessert worden: das finde sich in den Annotationen abweichender Lesarten (hierin ist der Drucker dem Herausgeber nicht gefolgt: die Annotationes zu Lesarten fehlen vollständig, die Übersetzung kürzerer griechischer Passagen sowie Alciats Übersetzung des Epigramms der Titelseite, u.a. auch des Begriffs archetypos des Widmungsbriefs als primarium exemplar findet sich, obwohl in deren kurzem Vorwort "sub finem operis" genannt ist, gleich im Anschluss an die Vorreden Herwagens, Haloanders und Justinians sowie zwei Inhaltsübersichten auf Bl. g 6 - d 6 des Vorspanns, der Text des Modestinus ist nirgends übersetzt; im übrigen sind die Bogen des Vorspanns z. T. verdruckt). Die sog. Authentica, teils den Novellen, teils den Konstitutionen Kaiser Friedrichs entnommen, habe er der Vollständigkeit halber ebenfalls beigefügt, da sie früher beigegeben worden seien. Zuletzt - hier erweist sich diese Vorrede, im somit erstgedruckten Teil, als für das ganze vierteilige Corpus Juris gültig - stehe das Werk der Nearai oder Novellae constitutiones, mit beiden, der alten und der neuen Übersetzung, was er vor allem den Professoren und den Rechtsanwälten zu Gefallen getan habe, denen die Kommentare des Corpus und der Glosse des Accursius von Nutzen seien, die zur alten Übersetzung angefertigt und durch ihre Stichworte gleichsam kapitelweise kenntlich sei. In diesen Konstitutionen habe er viele Lücken im griechischen Text Haloanders dank des Goodwills gewissenhafter Männer ergänzt, abweichende Lesarten am Schluss des Bandes vermerkt, einige Stellen der Übersetzung Haloanders verbessert, die in der Nürnberger Ausgabe fehlenden Feudi sowie die auch dort enthaltenen Canones Apostolici zur Vollständigkeit beigefügt, schliesslich für das Gesamtwerk die Einführung Justinians (im Vorspann dieses Bandes). Er habe bei dieser Ausgabe jedoch nicht nur an die Rechtsanwälte gedacht, sondern auch daran, dass sich durch die Lektüre der Pandekten, wie Polizian und "unser" Erasmus geschrieben hätten, gut Latein lernen lasse. Deshalb habe er grosse Bogen und eine grosse Schrift gewählt, hierbei nicht an Ausgaben gespart, um die Lektüre angenehm zu gestalten. Einen Patron, wie andere ihn sich nach Abschluss eines Druckes suchten, habe er nicht erst zu suchen brauchen, hierin auch nicht andere um Rat fragen; da sei er von Anfang an als Bewahrer des Rechts ihm festgestanden.

Aus Besitz Bonifacius Amerbachs, der für das Binden der vier Bände des Corpus 2 Schilling und 2 Plappart gezahlt hat; dann im Besitz seines Sohnes Basilius: M d III 8.

Bibliothekskatalog IDS

Signatur: Md III 8 | Md III 9

Illustrationen

Buchseite

Titelseite mit Besitzervermerk von Bonifacius Amerbach

Buchseite

Vorrede von Johannes Herwagen an den Kaiserlichen Prokanzler Matthias Held, ohne Datum, 1. Seite. Gemäss der Notiz von Basilius Amerbach wurde sie von Hieronymus Gemusaeus verfasst.

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Vorrede, 2. Seite

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Vorrede, 3. Seite

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Vorrede, 4. Seite

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Vorrede, 5. Seite

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Anfang der 'Digesta'

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Die Bescheide des Modestinus zu den Traktaten über die Befreiung aus der Vormundschaft am Anfang von Buch 27, auf griechisch (entgegen der Vorrede ohne lateinische Übersetzung)

Buchseite

Griechische Handschrift mit dem Text des Modestinus (Liber XXVII Pandectarum De excusationibus), die Andrea Alciati am 12. Februar 1540 von Bologna an Bonifacius Amerbach gesandt hat. Mscr. G II 14, Fol. 117