GG 128

Aristotelis Ethicorum Nicomachiorum libri decem ex Dion. Lambini interpretatione Graecolatini Theod. Zvingeri Argumentis atque Scholiis, Tabulis quinetiam Novis methodica illustrati. Theophrasti item Eresij Morum Characteres, interprete Cl. Auberio Triuncuriano. Pythagoreorum veterum Fragmenta Ethica, a Gul. Cantero Ultraiectense conversa & emendata... Basel: Eusebius Episcopius [März] 1582. Fol.

Sechzehn Jahre nach seiner ersten kommentierten Ausgabe der Nikomachischen Ethik des Aristoteles (GG 127) lässt Theodor Zwinger, nun nicht mit einer Widmung an einen Kollegen, sondern an einen Fürsten, der ihn um 1580 auf seiner Bildungsreise in Basel besucht hatte, gleichsam als Fürstenspiegel, das Werk nochmals erscheinen, nicht viel umfangreicher, doch völlig umgearbeitet, indem die Tabulae, die 1566 als zweiter Teil angefügt waren, nun in den Text eingearbeitet und zwischen den Text- und Kommentarteilen gedruckt sind. Denis Lambin ist inzwischen 1572 in der Folge der sog. Bartholomäusnacht gestorben, der damals junge Bearbeiter der Pythagoreerfragmente, Willem Canter 1575. Neu hinzugekommen sind, zur Ethik nicht unpassend, die Charaktere Theophrasts, griechisch mit Übersetzung und Scholien des Lausanner Dozenten Claude Aubère (Auberius, aus Triaucourt), um die ihn, wie wir aus seiner kurzen Widmung aus Lausanne vom 13. Januar 1582 an den Lausanner Patrizier Jean Bouvier (Bovius) erfahren, Zwinger für diese Ausgabe gebeten hatte. Zwinger dürfte Aubère von seinem Basler Studium von 1573/74 her gekannt haben, das er nach Studien in Genf 1563 und Paris 1574 mit dem Doktorat in Medizin abgeschlossen hat; von 1576 bis 1593 († in Dijon) wirkte er als Dozent in Lausanne. 

Zwinger hat die neue Ausgabe mit einer feierlichen Inschrift, die er zusätzlich mit seiner Devise ourō kai eiresiē hat signieren lassen, und einem Brief vom 15. März 1582 dem Grossfürsten Alexander von Litauen aus dem Geschlecht der Jagellonen und Herrn von Sluzk und Kopesk gewidmet. Während wahre Freundschaft nur unter Gleichen bestehen könne, beginnt er die Widmung an den hohen Fürsten, könnten es Verpflichtung und Wohlwollen durchaus auch unter Ungleichen, wie sein Beispiel zeige: während er bisher seine Werke stets seinen privaten Freunden gewidmet habe, wolle er in neuer Weise diese neuen Untersuchungen (Analyses) über die Sittenbücher des Aristoteles unter seinem berühmten Namen erscheinen lassen. Nachdem jener ihn vor zwei Jahren (superiore anno) auf einer Bildungsreise (literaria peregrinatione) durch Deutschland und Frankreich unter der Leitung des vornehmen polnisch-königlichen Sekretärs Jan Dzierzek, seines Phönix (d.h. seines Präzeptors, wie jener Achills), in der Art der alten Saturnalien besucht und sich zuerst inkognito habe vorstellen wollen, würde er sich als undankbar erweisen, wenn er dies nicht täte. Ihre Gespräche kennten er und sein Hofmarschall: man brauchte sich nicht zu scheuen und es wäre nützlich, sie zu publizieren und ihn zu erinnern, der sich nach Übernahme seines Erbes als Herrscher mit seiner Ausbildung nicht nur in Tapferkeit im Kriege, sondern vielmehr in solcher in der Politik, die auf die bürgerliche und häusliche Gemeinschaft ausgerichtet sei, bemühe, sich der Herrschaft würdig zu erweisen. Es folgen über zwei Seiten Erörterungen über Fürsten und Tugend mit Beispielen aus der griechischen und römischen Antike, schliesslich mit dem Hinweis auf eine damalige Äusserung Zwingers, dass der junge Fürst sich nun bemühen müsse, gut zu sein, nicht zu scheinen, und das in seinem Alltag. Er habe in seinem Haus Beispiele eines Lebens zur Ehre Gottes und zum Nutzen seiner Bürger: in seinem Ahnen Wladimir, seinem Urgrossvater Simeon, Grossvater Georg, Vater Georg, der, vereint mit dem Jagellonen Wladislas, sein Herzogtum gegen wilde Völker tapfer und erfolgreich verteidigt habe. Naheliegend wird der Adressat sodann mit seinem grossen Namensvorbild verglichen, was zum Zitat "eines Satyrikers" (Iuvenal 8,77) führt, dass beim Stützen auf fremde Tugenden das Gebäude beim Wegziehen der Säulen zusammenstürze. Doch er könne sich sowohl auf die seiner Vorfahren wie die eigenen stützen (wozu Zwinger gar Ilias 6,479 frei zitiert). Zudem habe er seine Mutter Catharina aus der Familie der Grafen Thenzin, nach dem Tode seines Vaters eine gegen aussen und im Innern kluge Regentin, zum Vorbild, die auch unter ihrem Kreuzessymbol zu den Siegen gegen die Moscher (Russen) beitrage. Dass nur Tüchtige Tüchtige zeugten, bezeuge der Lyriker, doch Lehre fördere die angeborene Kraft und die Pflege des Rechts stärke die Herzen (Horaz Carm. 4,4,29 und 33/34). Seine Ausbildung verdanke er vor allem seiner Mutter, die ihm hervorragende Männer des Worts und der Tat als Präzeptoren gegeben habe. Diesen wolle er auch seine hier vorliegende Gabe beifügen, aus einer Verpflichtung heraus als Erstlingsgabe - protreptisch zum Regierungsantritt. Frömmigkeit müsse ihm beim Regierungsantritt vor allem am Herzen liegen. Nach Plato seien jene Staaten glücklich, in denen die Philosophen herrschten oder die Herrscher philosophierten, nach Pythagoras der Philosoph ein Nachahmer Gottes. Daher müsse der Herrscher ein Vertreter Gottes, diesem ähnlich, sein und alles von Gott abhängen lassen. Daher müsse bei ihm wie bei Gott die Weisheit im Rat und die Redlichkeit im Urteil der Grösse der Macht entsprechen, müsse er seine Machtstellung (Auctoritas) durch die Vernunft (Ratio) leiten, seine Vernunft durch seine Machtstellung festigen, wie die ersten Könige Spartas es getan hätten und nach der Volksführung, nicht nach der Herrschaft benannt seien: alle die Agis, Agesipolis, Agesilaos. So solle er seinen gottgegebenen Titel Dux (= Führer) von Sluzk und Kopelsk mehr als Bezeichnung einer Aufgabe denn einer Würde ansehen und seine Untertanen zum wahren Glück führen, als homerischer Hirte des Volkes, als wahrer Alexander, Beschützer der Männer, die von der Tapferkeit ihren Namen hätten (viri - virtus), für sich nicht auf einen Nutzen und Vergnügen, sondern auf die Ehre achtend. Dies oder Ähnliches habe er ihm in seinem Hause, das der grosse Gast zu betreten gewünscht habe, aus seiner Hochschätzung für grosszügige und berühmte Männer heraus, die auch die Heilige Schrift des Namens Götter würdige, damals freundschaftlich vorgetragen. Er habe sich bis zum Tode für seinen Staat einsetzen wollen. Doch trotz seiner Überzeugung hiervon sende er ihm, da die Jugend gerade der Fürsten durch ihre Möglichkeiten und den Umgang mit Schmeichlern immer gefährdet sei, gewissermassen als Zugabe zu seiner gottesfürchtigen Erziehung die Ethik des Aristoteles, die freilich auch schon früher erschienen, aber jetzt erst wirklich, wie er überzeugt sei, herausgegeben sei, um einen Kommentar (Annotationes) erweitert, mit neuen Tabellen erklärt, damit ihnen nicht nur die gesamte Tugendlehre ihrer natürlichen Quelle entnommen, sondern auch die logische Methode, in der Aristoteles ein Künstler gewesen sei und in der die Summe der Studien zu liegen scheine, vor Augen geführt werden könne. Dies, damit er erkenne, dass seine seinerzeitigen Äusserungen nicht nur der von Christus gelehrten Frömmigkeit, sondern auch dem Licht der Vernunft, soweit dieses dem Menschen gegeben sei, entsprächen, und er sie als doppelschneidiges Schwert als alexikakos gegen die Ungeheuer der Sünden gebrauche. Notwendigkeit der Geschichtskenntnis für Fürsten sei allgemein anerkannt. Die vorliegende Geschichte aus Beispielen diene hingegen mehr der Nachahmung als blosser Kenntnisnahme, und die müsse allgemein gültigen Lehren folgen können; und da das Gesetz - nach Plato die Seele des Staates wie der Fürst sein Haupt - nichts anderes als eine durch die staatliche Autorität gefestigte philosophische Aussage sei, der man freiwillig gehorche oder durch Strafe zu gehorchen gezwungen werde, sei es klar, dass man sich im Meer der Geschichte gleichsam nach dem Kleinen Bären der Ethik zu richten habe, wofür Zwinger vier Verse des "Venusinischen Sängers" zitiert - Horaz (Epist. 1, 18, 96-99). Und hierfür gelte seit Jahrhunderten einmütig Aristoteles als gelehrtester Führer. Er habe, über den Makedonenkönig Philipp, der Aristoteles seinen Sohn Alexander anvertraut habe, hinaus Christus und Aristoteles als Führer zur Verfügung, könne nun mit ihm philosophieren und, mit Hippokrates, sein Wissen in (praktische) Kunstübung überführen (sophiēn es technēn traducere: mit welchem Zitat dann Zwinger ein halbes Jahr später seine zweite Widmung, die der Politik des Aristoteles, an den Fürsten Alexander einleiten wird). Und damit der Fürst sich nicht nur in der Politik, sondern auch im akademischen Leben als Herzog (Dux - Führer) erweise, würden die studiosi die heilsamen Lehren der Philosophie diesem Kommentar entnehmen können (da er vermutlich dank seiner Munifizenz hier in so grosszügiger Form ihm gewidmet erscheint). Da aber schliesslich auch alles menschliche Studium eitel sei, bitte er Gott, ihn, den er zum edelsten Spross der Jagellonen gemacht habe, zum hervorragenden und verdienten Fürsten werden zu lassen.

Das Exemplar B c I 30 Nr. 1 (Nr. 2 ist die Ausgabe der Politik vom August 1582) ist ein Geschenk Zwingers (mit dessen Eintrag) an Basilius Amerbach.

Bibliothekskatalog IDS

Signatur: Bc I 30:1

Illustrationen

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Titelseite mit Schenkungsnotiz: "C.L. I.C. D. Amerbachio Zwingerus"

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Widmung von Theodor Zwinger an den Grossfürsten Alexander von Litauen

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Vorrede von Theodor Zwinger an den Grossfürsten Alexander von Litauen, Basel den 15. März 1582, 1. Seite

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Vorrede 2. Seite

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Textseite aus dem 7. Buch, Kapitel 13: Griechisch-lateinischer Paralleltext, gefolgt von den Anmerkungen Zwingers

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Analytische Tafeln von Zwinger zum vorangehenden Text (Buch 7, Kap. 13) (1)

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Analytische Tafeln von Zwinger zum vorangehenden Text (Buch 7, Kap. 13) (2)

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Analytische Tafeln von Zwinger zum vorangehenden Text (Buch 7, Kap. 13) (3)

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Analytische Tafeln von Zwinger zum vorangehenden Text (Buch 7, Kap. 13) (4)

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Druckermarke von Johann Herwagen und seinen Nachfolgern