GG 171

Homeri Opera Graecolatina, quae quidem nunc extant, omnia. Hoc est: Ilias, Odyssea, Batrachomyomachia, et Hymni: Praeterea Homeri vita ex Plutarcho, cum Latina item interpretatione, locis communibus ubique in margine notatis. Omnibus in utriusque linguae tyronum usum Graece & Latine simul eregione expressis. In haec operam suam contulit Sebastianus Castalio, sicuti in Praefatione verso mox folio videre licet. Basel: Nicolaus Brylinger 1561. Fol.

Der zweite der drei - seitengleich gesetzten - Homerdrucke Brylingers geht, wie wir der Vorrede des Herausgebers Sebastian Castellio entnehmen können, auf eine Anregung des ehemaligen Professors der griechischen Sprache, nunmehrigen Druckers zahlreicher griechischer Werke Johannes Oporin zurück. Dass die neue Ausgabe dennoch nicht bei ihm, sondern wieder bei Brylinger erschienen ist, dürfte - zumindest auch - seinen Grund darin haben, dass die Basler Drucker höchst selten einem Kollegen einen Autor "abgeworben" oder weggenommen haben, so dass bei mehrmals, auch in neuer Bearbeitung, erschienenen Werken, sei es lebender, sei es von antiken Autoren, von Kirchenschriftstellern (z. B. Johannes Damascenus, Theophylactus) oder auch Lexika Offizinenwechsel fast ausnahmslos erst nach dem Eingehen einer Offizin erfolgt sind. Hatte Oporin Brylingers Ausgabe Pantaleons (GG 170) für eine bevorstehende Neuauflage aus pädagogisch-methodischen oder philologischen oder beiden Gründen für verbesserungsbedürftig gehalten, sich aber nicht direkt einmischen wollen, oder hatte Brylinger selber ihn gebeten sich bei einem neuen Mann für eine Überarbeitung einzusetzen und Oporin sich an den damaligen Basler Professor der griechischen Sprache gewandt, der seine theologischen Arbeiten bei ihm publizierte, mit dem er von daher engen Kontakt hatte? 

Herausgeber ist der reformierte Savoyarde Sebastian Castellio (1515-1563), bis 1544 durch Vermittlung Johannes Calvins Leiter einer Schule in Genf, nach seiner Trennung von diesem aus Gründen religiöser Intoleranz seit 1545 in Basel, hier 1545/46 an der Universität immatrikuliert, seit 1553 Hebraeus professor (wohl als Theologe) für griechische Sprache. In seiner Vorrede weist er gleich zu Beginn darauf hin, dass Oporin ihn inständig gebeten habe, an Homer einige Arbeit aufzuwenden und seinen Namen dabei nennen zu lassen (als Empfehlung für ihn wie im Verkauf für das Werk - was ja denn auch auf der Titelseite gebührend geschehen ist). Er habe sich gefügt, obwohl er es vorgezogen hätte, die Arbeit an Besseres zu verwenden. In der Ilias habe er nur die "Gemeinplätze" - Inhaltshinweise in diesem Fall - am Rand angezeichnet. Da nämlich im vorletzten Jahr der Genfer Drucker Crispinus das Werk griechisch und lateinisch gedruckt habe, habe er sich auf dessen Gewissenhaftigkeit verlassen (mit der die Drucker jener Stadt auch sonst ganz besonders zu arbeiten pflegten) und seinen Druck als Vorlage verwendet (eius exemplar nobis imitandum duximus; Jean Crespin war 1548, ebenfalls als Glaubensflüchtling, aus Frankreich nach Genf übergesiedelt und hatte dort eine Druckerei eröffnet; seine Ilias erschien 1559 und nochmals 1560, seine Odyssee erst 1567). Für die Odyssee und die andern im Titel erwähnten Werke habe er das geleistet. Er habe den an zahllosen Stellen verderbten griechischen Text verbessert, den lateinischen so verbessert, dass er an unzähligen Stellen nicht als Korrektor, sondern als neuer Übersetzer eingegriffen habe, vor allem in der ganzen Odyssee, ausser in wenigen Büchern am Schluss, deren Übersetzung wie auch die der übrigen Gedichte um einiges besser gewesen sei. Doch er habe nicht so viel geleistet, wie nötig gewesen wäre; sonst hätte man eine ganz neue Übersetzung drucken müssen. Er habe sich aber so bemüht, dass man es gerechterweise anerkennen müsse. Er habe auch zu gewissen Aussagen Homers Anmerkungen zu schreiben begonnen gehabt und sei schon bis zum 19. Buch der Odyssee gelangt gewesen, doch ein gewisser Grund habe daraus eine Fehlgeburt gemacht. Männern mit gesundem Urteil und Neigung zur Religion (an die er besonders denke) wolle er Rechenschaft ablegen: sie dürften sich wundern, und mit Recht, dass er, der er bisher die heiligen Schriften so studiert habe, dass er die profanen zwar auch, aber gewiss nicht hoch geschätzt zu haben scheine, es auf sich genommen habe, sich mit Homer zu befassen. Sie dürften ihn schnell verstehen und er hoffe, dass sie ihm gerechterweise nicht nur verziehen, sondern ihn auch Mitleid spüren liessen. Vor etwa 22 Jahren (d.h. noch vor seiner Genfer Zeit) habe er als junger Mann (d.h. mit etwa 24 Jahren), durch den berühmten Namen und die gepflegte Sprache Homers verlockt, sich eingehender mit dessen Lektüre befasst, als er hätte dürfen, und träger als zukommend mit den heiligen Schriften (durch deren Ungepflegtheit abgestossen, obwohl sonst ihnen zugeneigt). Jetzt, da er schon im höheren Licht Christi Besseres und das allein zu behandeln wünsche (1551 waren bei Oporin seine Dialogorum sacrorum libri quatuor erschienen, 1562 bei diesem seine Defensio suarum translationum Bibliorum, nach der französischen und der lateinischen Bibel von 1555 bzw. 1556), sei es dazu gekommen, dass er die Kunst, die er als Jüngling gelernt habe, als Erwachsener auszuüben habe - wie die Israeliten den Chaldäern zuerst freiwillig, später unter Zwang gedient hätten. Nach Gottes Gerechtigkeit büsse man meist darin, worin man gefehlt habe. Dies erwähne er darum, dass die Jungen aus seinem Beispiel lernten, das nur nebenbei zu behandeln, was nur nebenbei zu behandeln sei, und das ernsthaft, womit man sich ernsthaft zu befassen habe, um nicht eine Magd zur Herrin und die Herrin (d.i. die Theologie) zur Magd zu machen, d.h. sich nicht um die weltlichen Fächer ernsthaft und um die göttlichen nur nebenbei zu bemühen. - Castellio hat die lateinische Übersetzung in besseres Latein umgesetzt, dabei vor allem die der Ilias derjenigen Andrea Divos angeglichen.

Neuerwerbung von 1935. Am 2. Januar 1582 hat das Exemplar ein Lehrer einem Schüler zu Neujahr geschenkt: einer der bedeutendsten deutschen Humanisten der Jahrhundertwende, der ehemalige Schüler Hieronymus Wolfs David Hoeschel (Augsburg 1556-1617), seit 1581 Lehrer, 1593 als Wolfs zweiter Nachfolger Rektor des Gymnasiums und Leiter der Stadtbibliothek seinem Schüler Peter Paul Steurnagel, der, in Basel immatrikuliert im Januar 1593, am 26. März hier das Lizentiat der Rechte erworben hat: B c II 167.

Bibliothekskatalog IDS

Signatur: Bc II 167

Illustrationen

Buchseite

Titelseite mit der Druckermarke Johannes Oporins und der Widmungsnotiz von David Hoeschel an Peter Paul Steurnagel vom 2. Januar 1582.

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2alphar: Vorrede Sebastian Castellios, 1. Seite.

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2alphav: Vorrede Sebastian Castellios, 2. Seite.

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1ar: Beginn der griechisch-lateinischen Ilias.