GG 222

Isocratis orationum omnium Analysis, Hoc est, in Argumenta resolutio: Paraeneticae vero ad Demonicum plenior tractatio, ita ut & prolixi Commentarij vicem praebere, & ad aliorum quoque Oratorum nervos similiter eruendos exemplo esse possit. Autore Conrado Clausero Tigurino. Mirabilem porro Analyseos huius rationem atque usum, ex Praefatione cognosces... Basel: Johannes Oporin März 1558.

Analyse - Zerlegung - der paraenetischen, lehrhaften Reden an Demonikos - und ganz knapp einiger anderer Reden - des berühmten athenischen Redners und Pädagogen Isokrates zu Unterrichtszwecken durch den als Lehrer in Brugg tätigen Zürcher Conrad Clauser, dessen Söhne Johann Jacob und Heinrich sich gerade 1556/57 an der Basler Universität immatrikuliert hatten. Gewidmet hat Clauser, Verfasser einer ganzen Sammlung von Latein-, Griechisch- und Rhetoriklehrbüchern das Werk aus Brugg am 9. Februar 1558 zwei - vermutlich jungen - polnischen Adligen, die wohl, und das dann wohl aus konfessionellen Gründen, in Zürich oder Brugg geweilt hatten: Stanislas Kulia und Stanislas Odrzyvolsi.

Viele meinten die Redekunst zu studieren, beginnt er seine Widmung, die zugleich eine Gebrauchsanweisung für das Werk ist, wie der potentielle Käufer schon auf der Titelseite lesen konnte, wenn sie sich um Zierat, Brustschmuck und andere Lockmittel der Rede bemühten und Beweisführung, Darstellung und die Sache selber für gleichgültig hielten, die allein zu überzeugen vermöchten. Dieser Irrtum, geradezu die Zerstörung der Beredsamkeit, welche die Stoiker als sprechende Weisheit bezeichneten, werde durch die Überlegungen der Gelehrten verurteilt. Die Kenntnis der Dinge bringe die Wahrheit und deren Aussage überzeuge, wie schon Sokrates die Sophisten widerlegt habe. Er verurteile aber die blumige Redeart keineswegs, ja man müsse sich um eine ausgefeilte Ausdrucksweise bemühen. Doch würden die Reden der besten Redner weniger wegen ihrer Ausdrucksweise als wegen der Lauterkeit ihrer Beweisführung empfohlen. Und diese entstehe aus der vollendeten Naturkenntnis, welche die Redner besessen hätten, aus der Natur und Moralphilosophie, aus Dichtern, Historikern und Juristen, wie Demosthenes und Cicero zeigten. Was nütze es, wenn man Argumente für das Ehrenhafte brauche und nur eine Ausdrucksweise kenne statt der Moralphilosophie, die uns die Idee der Ehrenhaftigkeit liefere? Keiner sei Ciceronianer, Demostheniker oder lsokratiker, der genaue Kenntnis der Ausdrucksweisen Ciceros, des Demosthenes, des Isokrates habe, sondern der, der ihre Argumente - Stoffe und Gedankenführung - kenne. Für Cicero seien nur ausgezierte Reden ohne sachlichen Hintergrund leerer Schall gewesen. Ein vollkommener Redner müsse das ganze Wissen der Philosophen beherrschen. Sache und Ausdruck seien zwar nötig, die Sache aber wichtiger. So hätten an Ciceros Ausdruck vor allem die weniger Gebildeten Freude, an seinen Gedanken (argumenta) die Gebildeten, jene einfältigen Philosophen ähnlich, welche sich von der Schönheit der Lebewesen fangen liessen, diese vergöttlichten - diese den Christen, die sich um den schönsten Schöpfer Gott bemühten. Cicero und die Redner verlangten - was richtig sei - einen greifbaren Vorrat an treffenden Wörtern; dennoch sei der Vorrat an Sachen wichtiger. Das zeigten Demosthenes und Phokion und die Kritik des Sokrates an Lysias. Die wahrhaftige Rede sei einfach. Den Schatz an Stoffen und Gedanken (thesaurus rerum) aber müsse man sich aus den Schriften erwerben. Dazu müsse man die Reden in ihre Gedanken zerlegen (resolvere in argumenta), und wenn man auf merkenswerte Sätze oder Beispiele stosse, diese jeweils in ein für die Eintragung von sogenannten Loci communes vorbereitetes Heft (codicem) notieren. Am besten für die Analyse sei, die Rede erst genau zu lesen, dass man sie sprachlich (grammatice) verstehe; dann die eleganteren Phrases oder Formeln, mit denen man eine Rede oder eine Schrift ausschmücken könne, auslesen, und dann erst die Analyse vornehmen und die Argumente sorgfältig annotieren. Dann habe man dank der Analyse immer Begründungen und Beweisführungen vorrätig (epicheremata & enthymemata). Und auch die eleganten Formeln wären in der Sammlung greifbar. So könne man, wenn man in eine wissenschaftliche Vorlesung gerate, alle sachlichen Fragen mündlich und schriftlich behandeln (disputare, scribere & disserere); wer ohne eine solche Analyse hinzugerate, werde den Merkur eher im Herzen als auf der Zunge haben. Um dieses Verfahren den studiosi der Beredsamkeit etwas bekannt zu machen, zeige er ein Muster, und zwar aus allgemein bekannten und in jeder besseren Schule behandelten Autoren: aus Ciceros Pflichten, Laelius und Cato und dann aus Isokrates. Officia, Laelius und Cato habe er zerlegt, um den Weg zu bereiten, dass einer sich auf diese Weise Argumente aus philosophischen Schriften sammeln könne (Clausers Ciceronis librorum de Officijs, de Amicitia, de Senectute Analysis ist im folgenden Juli 1558 bei Oporin erschienen). Und Isokrates habe er seines äusseren Schmucks entkleidet und seine Knochen und Sehnen blossgelegt, dass die studiosi der Redekunst erkennten, wie sie sich aus andern Rednern einen Schatz an Argumenten schaffen könnten. Er habe auch ein Beispiel zur Übung des Stils gegeben: er habe die ganze Rede an Demonikos nach Begründungen, Gegengründen, Vergleichen, Beispielen und Merksätzen behandelt. Wenn einer nun nach diesem Verfahren andere Sätze erkläre, in eleganten Formeln ausdrücke und dazu aus dem oben erwähnten Heft mit Loci communes passende Beispiele, Vergleiche und Merksätze beifüge, werde er rasch überreich an Beispielen, Vergleichen und Merksätzen sein. Denn aus der Zerlegung guter Autoren in Argumenta gewinne man Begründungen. Wenn einer sich in Briefen, Musterreden oder Predigten üben wolle, könne er die Methodiken konsultieren, die er hierzu publiziert habe (Briefe und Deklamationen hatte er im De educatione puerorum liber unus behandelt, die Predigten in der Certa declamandi et concionandi Methodus, die 1554 bzw. 1555 bei Oporin erschienen waren). Zuletzt weist Clauser noch darauf hin, dass er hier nicht den griechischen Text des Isokrates verwende, sondern die lateinische Übersetzung des hochgelehrten Hieronymus Wolf, mit dem er eng befreundet sei, damit diese Analysis nicht nur den Griechischkundigen, sondern auch denen nütze, die nur das Latein beherrschten, zumal die Übersetzung Wolfs im Stil und Ausdruck denen des Isokrates ebenbürtig sei. Er widme ihnen diese Analysis als Denkmal ihrer Freundschaft; er wisse, dass sie mit ihm in Bezug auf die Rhetorik gleicher Meinung seien, und so könne sie weiteren Polen Anreiz bieten, sich auf diese Weise mit der Redekunst zu befassen. Sie möchten sie freundlich entgegennehmen und seinen Sohn Johann Jacob, falls er einst zur Bereicherung seiner Bildung nach Krakau komme, empfohlen wissen. Im Anschluss an die Widmung entschuldigt sich Clauser noch für allfällige Druckfehler: er male schlecht und wohne weit entfernt von der Druckerei, so dass die Drucker (bzw. Setzer) ihn nicht fragen könnten, wenn sie irgendwo hingen; so müssten sie oft Vermutungen anstellen; das komme meist richtig heraus, aber nicht immer.

1563 ist bei Oporin noch eine weitere analytische Methodik erschienen, die Methodus analyti ca sive resolutoria ex Aristotele, Platone, Hermogene, Cicerone alijsque opt. autoribus conflata (GG 223).

Das Exemplar D F VII 4 Nr. 2 Ex libris Bibliothecae Academiae Basiliensis ist mit der im Verlagsprogramm ergänzenden gleichzeitig erschienenen Phraseologia Isocratis Michael Neanders zusammengebunden, ebenso das Exemplar B c VIII 105 Nr. 2 aus privatem Besitz.

Bibliothekskatalog IDS

Signatur: Bc VIII 105:2 | DF VII 4:2

Illustrationen

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2alphar: Anfang der Vorrede des Conrad Clauser vom 9. Februar 1558.

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1ar: Anfang der Analyse der Reden des Isokrates.

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7Hv: Kolophon