Scheuchzer, Johann Jakob an Bernoulli, Johann I (1711.02.01)

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Autor Scheuchzer, Johann Jakob, 1672-1733
Empfänger Bernoulli, Johann I, 1667-1748
Ort Zürich
Datum 1711.02.01
Briefwechsel Bernoulli, Johann I (1667-1748)
Signatur Basel UB, Handschriften. SIGN: L Ia 667, Nr. 17*
Fussnote Original



File icon.gif Celeberrimo Viro

Dn. Joh. Bernoullio

S. P. D.

Joh. Jacobus Scheuchzer

En Amice optime apparatum armorum,[1] quibus et vestra Disp. de Mundo,[2] et totus Copernicanismus prostratus perhibetur![3] sed en simul, quae pro me et vobis, pro causa nobis communi egi. Nullus dubito quin graves exoriturae sint lites; Vestrum erit, mihi suppetias ferre, meum, causam vestram pro viribus defendere. Pergratum erit, si gravi responsoria primos meos motus suffulcire digneris: est enim permagna Tua apud prudentiores, meliores, et doctiores, ut in universo Orbe ita etiam apud nos Authoritas. Ego rem meam agam summa qua potero modestia, et fide. Saluta quoque Cl. Battierium, et Amicos alios, salutatus officiose a Fratre. His vale et me porro ama.

Tiguri d. 1. Febr. 1711.

File icon.gif[4] Den 28ten Ianuarij 1711 ist von MHH. D. und Prof. Solomon Hottinger gehalten worden eine Disputation, unter dem Titul Liber Naturae ex Psalm. XIX, v. 1-7 propositus,[5] worinnen haubtsächlich begriffen eine widerlag deß Copernicanismi. Der Candidatorum halb war die ein hellige meinung vom H. Antistite Klinglero biss zum untersten, dass sie schlecht bestanden in Latinis, Philosophicis, Logicis, und zu Erbarmen seye dass in unseren schulen so schlechte progressus, ich war der letste, Subscribirte auch dem allgemeinen urtheil, mit dem beyfügen, dass mich nicht verwundere über so magere objectiones, und Responsiones, weilen die tractirte Materi müsse deducirt werden auss der Mathematic, einer unsrer schul bissdahin ohnbekandten wüssenschafft, wesswegen mir leicht könne einbilden, daß unsre Studiosi die realen gründ pro et Contra nicht können fassen; mithin hab ich wahrgenommen, sonderlich in Thesi XX,[6] daß wider die Copernicaner gar ernsthaffte invectivae stehen, alß ob sie die schrifft machen zu einer wächsinen Nassen, die bundslad in den tempel Dagons setzen, und thür und thor aufthuen zu allen Ketzereyen, profanation der Religion, und gar zur Gotts-Laugnung, dann diß wollen die termini, S. Scriptura foret nasus cereus in omnes figuras alias effingendus – Hoc est Arcam Iehovae delubro Dagonis inferre. – Porta lata omni Schismatico, Haeretico, Profano, imo Atheo apperiretur –[7] und was noch mehr; und bette ich MHH. in tam Venerando consessu mit Vorbehalt meines besonderen Respects gegen MHH. D.res und Praeside, dass man doch möchte die Copernicaner milter tractiren, es seye Ihre Hypothesis heüt zutag in der gantzen gelehrten welt, unter Papisten, Lutheraneren, und Reformirten, nit nur von Mathematicis und Philosophis, sondren auch Theologis recipirt, es seye mir dero selben unschuld auch selbs in ansehung H. Schrifft bekannt, und könne ich nit sehen, wie man mit dergleichen tractamenten werde vor unsrer schul an frömbden orthen Ehr einlegen, hiemit endete ich meinen, wie zu sehen, File icon.gif unschuldigen und bittlichen Vortrag. Wie unschuldig aber immer, und zu unsrer schul, selbs auch zu der interessirten Ehr und nutzen abzwekend disser Vortrag gewesen, so hat wider mein Vermuthen derselbe bey unsren vornehmsten Kirchen und Schuldieneren grosse Verbitterung verursachet. Herr D.r und Praeses führte zum ersten das wort, sagte er habe zum theil dergleichen turbas vorgesehen, deßwegen seine Disputation denen H. Censoribus übergeben, (darbey aber zu wüssen, daß H. D.r Hottinger bissher seine Disputationes nit bald der Censur übergibt, und dissmahl Herr Examinator Escher darvon nichts gesehen) ich seye unfründtlich, er das unschuldige schaff, welches unten am bach stehe, und doch denselben müsse betrübt haben bette MHH. daß Sie Ihme möchten ruh schaffen. H. Antistes Klingler sagte man könne dergleichen turbas nicht leiden, er sehe wol, man wolle die alten streitigkeiten widerumb erneüeren, Sie wollen kurtz handlen nach dem tenor Hoch-Oberkeitliche[r] satzungen, dem einten oder dem andern den Mantel höcher henken [...]. Herr Theologus Hottinger brauchte auch unfreündliche terminos, turbator pacis, friedhässig etc. Ich replicirte hierauf nichts, obgleich die schärffe der terminorum oder Redens-arten hätte bilem moviren sollen, in hoffnung es werde sothane meine Continenz bey so untheologischen proceduren nebst der höflichkeit meines Vortrags, und unschuld der sach selbs allenfahls bey einem ohnpartheyischen Richter, glimpflich angesehen, und ausgeleget werden.

Es ist diser Disputation halb zu bemerken, dass selbe entgegen gesetzet ist einer ohnlängst zu Bassel gehaltenen und von der Academie, absonderlich auch ihren gelehrtesten Theologis approbirten Disputation, welche Herr Doctor und Professor Battier gehalten de Mundo,[8] darin der Author das Copernicanische welt-gebaüd zu verherrlichung Gottes gar schön wie es heüt zu tag angesehen wird, ausleget, und zwahren ohne invectiven oder verdammung anderer, wie dann die Copernicani überal disse manier brauchen. So daß vermuthlich, welches oben in meinem Vortrag angemeldet, es werde ein solcher modus procedendi, den unsre Theologi und Philosophi brauchen, nit wol von iezt bemeldter Hoher Schul, und dero Professoribus aufgenommen werden.

D.r Joh. Scheuchzer [9]


Fussnoten

  1. Wie aus der Antwort Bernoullis von 1711.02.10 hervorgeht, sandte Scheuchzer hier die Schrift Hottinger, Salomon, Liber naturae ex Psalmo XIX. v. 1-7 propositus quem ... pro examine philosophico legitime consequendo secundum gratiam divinitus concessam tueri conabuntur Ioh. Casparus Sprynglinus et Ioh. Henricus Denzlerus ..., Tiguri [Zürich] (D. Gessner) 1711.
  2. Battier, Samuel, Dissertatio philosophica de mundo, quam permissu sapientis Philosophiae Ordinis ad diem 12 Dec. praeside Samuele Battierio Ph. et Med. Doct. Gr. L. P. P. L. H. Q. S. publice ventilandam proponit Ioh. Rodolphus Miegius, Phil. Cand. et Med. Stud., Basileae (J. J. Battier) 1710.
  3. Zur Problematik des Kopernikanismusstreites in Zürich siehe Nagel, Fritz/Gehr, Sulamith, Zürich und Basel im Dialog. Johann Jakob Scheuchzers Korrespondenz mit Johann I Bernoulli, in: Leu, Urs B. (ed.), Natura sacra. Der Frühaufklärer Johann Jakob Scheuchzer (1672-1733), Zug 2012, pp. 181-207.
  4. Der folgende Text lag diesem Brief laut Aussage von Johannes Scheuchzer in seinem Brief vom gleichen Tag, also von 1711.02.01 bei. Er wird dort als "recensio fratris", aus der Bernoulli mehr über die Streitigkeiten in Zürich erfahre, bezeichnet. Das Manuskript findet sich heute in UB Basel, Handschriften L Ia 721, fo. 121. Inhaltlich geht es um die Diskussionen in der Zürcher Examenskommission hinsichtlich der unzulänglichen Verteidigung der Thesen Hottingers durch die Studenten Sprünglin und Denzler. Diese Diskussionen hatten sich verschärft, nachdem Johann Jakob Scheuchzer den in der Disputation angegriffenen Kopernikanismus verteidigt hatte. Obwohl die Beilage mit "D. Joh. Scheuchzer" unterzeichnet ist, kommt als Autor aus inhaltlichen Gründen eher Johann Jakob Scheuchzer in Frage. Johann I Bernoulli bestätigt denn auch in seinem Brief an Johann Jakob Scheuchzer von 1711.02.10 den Empfang beider Briefe und der Beilagen und spricht ausdrücklich davon, dass er neben Hottingers Liber naturae auch Johann Jakob Scheuchzers Defensio gesehen habe.
  5. Hottinger, Salomon, op. cit.
  6. Hottinger, Salomon, op. cit.
  7. Hottinger, Salomon, op. cit.
  8. Battier, Samuel, op. cit.
  9. Die hier beigelegte Abschrift von Johann Jakob Scheuchzers Bericht hat Johannes Scheuchzer wohl eher als Kopist unterzeichnet.


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